Buchbesprechung zu "Nach Feuer schmeckt die Nacht"
Ein virtuos geschriebenes Lesevergügen!
Rainer Popps neuer Polit-Roman »Nach Feuer schmeckt die Nacht«
Von Jacky Dreksler*
Rainer Popp schreibt wie Lang Lang Beethovens »Appassionata« spielt: expressionistisch und dynamisch in den leidenschaftlichen Passagen. Expressiv in den leise reflektierenden Zeilen, dies allerdings virtuos versteckt im Subtext.
Und Subtext gibt es reichlich in Popps neuestem Werk. Es besteht eigentlich vornehmlich aus Subtext. Der Klappentext sagt, es ginge um die kriminellen Verstrickungen von demokratisch legitimierter Staatsmacht. Richtig. Was aber nirgendwo steht: dargestellt wird das am Beispiel eines Mannes, der einem wirklichen Politiker aufs Haar gleicht: Ex-Außenminister und Vizekanzler (1998 bis 2005) Joschka Fischer.
Es ist die Story eines politischen Chamäleons, das seine eigene Wandlungsfähigkeit gern selbstverliebt in einem Spiegelkabinett von alten Gefährten, neuen Feinden und begeisterten Fans im Volk bewundert: einen Aufstieg vom Molotowcocktail schwingenden Studentenrevolutionär zum staatstragenden Champagnerpolitiker. Vom Hilfsarbeiter in die politische Chefetage – wie hat er das geschafft?
Mit dem verspielten Charme der 68er-Aura. Und mit wacher Intelligenz. Und mit einer rhetorischen Begabung, die Bettina Röhl, die Tochter der Terroristin Ulrike Meinhoff, stöhnen ließ, sie ertrage die gepflegte linke Schönrednerei nicht, in der zwar grundsätzlich Fehler von damals eingeräumt, aber die einzelnen Gewalttaten möglichst dem Vergessen anheimgegeben werden.
Aber vor allem haben der echte Fischer und Popps komplexer Protagonist es mit einem geschafft: mit waffenscheinpflichtigem Ehrgeiz.
Popp beginnt mit einem kraftvollen Akkord: »Die Angst war es, die ihn gebissen hatte – ins Gesicht, in den Bauch, zwischen die Augen, mitten ins Herz. Es war die Angst, die ihn schüttelte hin und her, wie es ein Wolf auf Beutejagd macht mit einem zuckenden Hasen. Es war die Angst davor, dass in letzter Minute doch noch alles herauskam, wofür er sich schuldig fühlte seit mehr als zwei Jahrzehnten.«
Wir lernen den fünfzigjährigen Marc Nenndorf kurz vor seinem größten Triumph kennen. Er kleidet sich standesgemäß: »Der fast schwarze Anzug spannte ihm wie eine Wurstpelle um den aufgedunsenen Leib.« Draußen wartet sein alter Kumpel, heute sein Fahrer, mit der Limousine. Wenig später wird er im Bundestag die Schwurhand an die Hosennaht legen und sagen: »So wahr mir Gott helfe«.
Geschafft! Seine Anhänger jubeln, seine Feinde knirschen mit den Zähnen.
Drei Autostunden entfernt sitzt ein weiterer alter Weggefährte hinter Gittern. Er verfolgt die Vereidigung am Bildschirm, und fragt sich, wie es geschehen konnte, dass er nach Auffassung des Haftrichters als Terrorist gilt und an drei Morden beteiligt sein soll. Während sein Kumpel als Popstar und politischer Heilsbringer gefeiert wird und in höchste Staatsämter aufsteigt. Sein alter Freund, mit dem zusammen er Häuser besetzt, Frauen gevögelt und Polizisten verprügelt hat.
Wie der wandlungsfähige Held in diesem Polit-Roman graduell seine Selbstbestimmung und Selbstachtung verliert, zeigt Popp als faszinierendes Psychodrama. Wie fremde Mächte sein Leben dominieren und er nach einem faustischen Pakt zum Spielball von Erpressern wird, ist bei Popp ein brillant inszenierter Psycho-Thriller.
Nicht nur eine spannende, sondern auch eine höchst vergnügliche Lektüre. Denn all das intoniert Popp mit gewohnter Virtuosität auf einer literarischen Klaviatur, die als comic relief auch gekonnt heitere Töne anschlägt.
* Jacky Dreksler, TV-Produzent und Buchautor (Ich wünsche dir ein glückliches Leben/ Das Leid meiner Mutter und ihr Geschenk an mich, DuMont Buchverlag, 2016