Buchbesprechung zu Wenn der Führer wüsste...

Buchbesprechung zu Wenn der Führer wüsste...

Rezension zu Heiger Ostertags neuem dystopischen Roman „Wenn der Führer wüsste..." von Dr. Uta Oberkampf.

Buch Wenn der Führer

Wie die Welt heute aussehen würde, hätte Hitler den Weltkrieg gewonnen, ist eine von Wissenschaftlern wie Literaten vieldiskutierte Frage, für die der promovierte Historiker Heiger Ostertag im Anhang einige Beispiele zitiert. Und auch für das Romangeschehen selbst werden in einem ausführlichen Nachwort interessante Hintergrundinformationen beigesteuert.
Die Erzählung setzt Siebzig Jahre nach dem Ende des „totalen Kriegs“ ein.
Nach dem „Endsieg“ der Nazis scheint im „Dritten Reich“ eine Machtelite die Geschicke des „Reiches“ fest in ihrer Hand zu halten. Interessant ist dabei, dass es die nachfolgenden Generationen der adligen Steigbügelhalter Hitlers sind, die in diesem Staatswesen immer noch Führungsrollen innehaben ( Justiz, Kultur, Heereswesen ). Aber mit dem Tod des Hitler-Enkels werden tektonische Verschiebungen im Machtgefüge sichtbar: Heer, SS und S.A. liefern sich Machtkämpfe, in die sich auch die unterdrückten Polen einmischen. Der Protagonist Rudolf von Bracken, aus dessen Blickwinkel der Leser das Geschehen verfolgt, gerät dabei zunehmend zwischen die Fronten und beginnt, das herrschende System infrage zu stellen. Mit ihm bewegt sich der Leser fast in James Bond-Manier in rasantem Wechsel durch die U-Bahntunnel Berlins, die Bunkergänge der „Wolfsschanze“ und über die Dächer der riesigen Baukomplexe von „Germania“, wie Berlin sich nun nennt. Es ist die Flucht vor einer „Macht“, die für Akteure und Leser gleichermaßen ungreifbar bleibt.
So wird in dieser negativen Utopie, in der eine arische Elite ein angenehmes Leben auf Kosten der Menschen „unreinen Bluts“ führen kann, der Leser bis zum ironisch-kritischen Ende in ständiger Spannung gehalten.
Der förmliche Stil – man geht zu Tisch, man speist, man lässt den Damen den Vortritt - gibt anschaulich die Atmosphäre der verknöcherten Gesellschaft einer überkommenen Adelsclique wieder, die sich als „Elite“ dieses Neuen Reiches sieht.
Selbst die Liebesbeziehungen haben in diesem Rahmen etwas Geschäftsmäßiges – und wo das nicht der Fall ist, muss es sich um „Gedankenverirrung“ handeln.
Hier wird er wieder wach, jener Geist der Nachkriegszeit, in der die alten Seilschaften aus dem Untergrund zu agieren wussten und keine Experimente duldeten; ein Geist, der erst durch die Studentenunruhen der endsechziger Jahre gebrochen werden konnte.
Für die Schilderung des fiktiven Geschehens nutzt der Autor die akribisch aufgelisteten Pläne der Naziführung für die Zeit nach dem Endsieg.
Mit seiner schnörkellosen Sprache, die ohne Wertung auskommt, Stellt er die Frage nach dem, was von den Führerpersönlichkeiten als Wahrheit verkauft wird und durchleuchtet dabei die innere Struktur der von ihnen so gerne genutzten Machtapparate
Es ist ein großes Personentableau, das in seiner geschickten Mischung aus selbstverliebten Ignoranten, Gutmenschen, politischen Hasardeuren und knallharten Machtmenschen den Roman lesenswert macht.
Denn das tief in den dunkelsten U-Bahn- und Bunkerschächten Verborgene lässt sich problemlos in die Jetztzeit projizieren:
„Staatsnotstand und Kriegsrecht“, wiederholte Erich von Rodenstein. „Ein geschickter Schachzug, um gegen unbequeme Frager und jeder Form der Opposition vorgehen zu können. Der Führer hat sich offenbar von seinen ungarischen und türkischen Verbündeten inspirieren lassen.“ ( S. 185 )

Heiger Ostertag – Wenn der Führer wüsste…

9. November 2023


Eine historische Dystopie
333 Seiten, Broschur
ISBN 978-3-96438045-6, 1. Aufl. 2021

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