Mit drastischen Bildern auf eine Fährte gelockt

 

Rezension zum Roman von Rainer Popp „Nach Feuer schmeckt die Nacht“  

Es passiert einiges im Roman über den Politiker, der aus einfachen Verhältnissen in ein Regierungsamt aufsteigt. Und das, was passiert, schildert Rainer Popp mit drastischen, üppigen Bildern, nimmt den Leser zwingend ins Geschehen und sorgt für nachhaltige Phantasien. Wenn die Ähnlichkeit mit einer lebenden Politikerfigur als zufällig versprochen wird, so stellen sich schon zu Beginn Zweifel ein. Details der Wirklichkeit schlüpfen unter das Dach der Fiktion, und man fragt sich: In welchen Schweberaum von Fake und Reality entführt uns der Erzähler? Welcher Erzähler? Er steht der Figur Marc Nenndorf gegenüber, sitzt ihr aber auch im Nacken, schleicht sich in seine Psyche hinein ganz zu Beginn und lässt die Leserin wissen, dass der Typ, der so erfolgreich ist, vor Angst innerlich schlottert. Man wird auf eine Fährte gelockt mit Vorausdeutungen und fragt sich: was muss passieren, damit dieser nach oben katapultierte Karrierist zu Fall kommt? Doch die Auflösung dauert. Wir werden zurückgeworfen in den Anfang seiner Karriere in Ereignisse, die „passieren“. Oder, wie es seine 4. Ehefrau in einem Trennungsgespräch formuliert: „Du bist passiert. Es ist mit dir passiert.“ Man kann es fast so empfinden, dass sein Leben die Ereignisse passierend streift, denn nichts kann Marc Nenndorf wirklich ergreifen. Außer seinem Ego. Er will durch. Irgendwie. Raus aus der Sponti-Szene autonomer Gewaltbesetzer. Er will Macht. Alte Gefährten zieht er mit nach oben, andere stürzen ab. Werden sie ihm schaden?

So führt uns der versierte Autor Rainer Popp hinters Licht seiner zentralen Figur, diesem zwielichtigen Politiker, diesem intelligenten Zyniker und Schwätzer. Wir blicken in sein dürftiges Innenleben. Die Hauptfigur distanziert sich von ihrem Milieu: „Er liebte es (…) in den Gesprächen auszuprobieren, ob er sich mit seiner neu erworbenen Bildung bereits sehen lassen konnte.“ Und: „Er hielt sich für einen Mann des arbeitenden Volkes und für einen politischen Intellektuellen“. Kann dieser Spagat gelingen?

Irgendwelche Mächte scheinen im Hintergrund Strippen zu ziehen. Geheimnisvolle Anrufe deuten auf eine Schlinge, die sich zuziehen wird. In einer Pendelbewegung von Erfolg und Niederlage, politischem Höhenflug und privatem Scheitern, mit einem janusköpfigen Verwirrspiel gelingt der Aufstieg.

Ein Markenzeichen des Romans ist die Vermischung von Realität und Fiktion. Das Attentat auf den hessischen Minister Karry hat es gegeben. Sind alle Reden der Hauptfigur so gehalten worden? Schlingernd verläuft die Trennlinie zwischen recherchierter Sachlichkeit und Polit-Thriller. Ruhigere Passagen gönnen dem Leser Atempausen.

Die komplementären Spannungsstränge werden im mitternächtlich klingelnden Handy zusammengeführt. Andeutungen, Auslassungen als Spannungselement. Am Beginn die Angst, am Schluss die Fügung „Jawohl…“

Rainer Popp gehört nicht zu den Gegenwartsautoren, deren Schreibweise spärlich, gar minimalistisch ist. Er bevorzugt hypotaktische Satzkonstruktionen, stark bildhafte Vergleiche, liebt die Wiederaufnahme des Artikels als Relativpronomen („Reden, das können wir nachher noch…“, „das Büro, das wird sich freuen“), bildet lange Anaphern, feilt retardierend wirkende Dialoge.

Man bleibt dran an dieser Story und fragt sich: Kann das wirklich so gewesen sein? Vermutlich ja.

Theodor Cramer, Bonn. Der Verfasser hat Germanistik und ev. Theologie studiert, war neben und nach seiner Lehrtätigkeit Regisseur und Autor, später Juror für Prosaliteratur und Theater, Literaturvorträge in der Erwachsenenbildung.

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